“Ja natürlich! Kein Problem! Gerne! Nein, das mache ich heute noch, überhaupt kein Problem, Frau Seidler!” Mary knallte den Telefonhörer auf die Aufhängung. Sie blickte auf die Uhr, 5 vor 5, natürlich hatte sie ihre Chefin jetzt noch angerufen und nach den Unterlagen gefragt. Und natürlich würde es ewig dauern, bis alles fertig war. Pünktlich heim gehen, konnte sie sich heute ins Wunschbuch schreiben. Sie drehte den Bildschirm ihres PCs wieder auf und loggte sich wieder ins System ein.
Zwei Stunden später schaute sie in die Chefetage, doch dort war schon alles dunkel und leer. So wichtig war es also gewesen, dass diese Daten heute noch aufgearbeitet wurden. Mary stopft die Mappe in ihre Tasche und verließ das Bürogebäude und machte sich auf den Heimweg. Ihr Bauch grummelte und sie hüpfte noch schnell ins Bistro ums Eck.
“Der Koch hat leider bei der Bestellung übersehen, dass du Laktosefrei wolltest, ist es trotzdem ok, weil sonst dauert es nochmal 30 Minuten!” sagte der Kellner verlegen lächelnd. Mary lächelte zurück. “Nein, das passt schon!” erwiderte Mary und nahm den Karton und verließ das Lokal. Im Vorbeigehen warf sie den Karton in den Mistkübel und ging die Treppen zu ihrer Wohnung hoch. Sie holte ihr Handy raus und hörte sich die Sprachnachricht an. “Hey Schatz, wegen dem Familienurlaub nächste Woche, es gab da ein Problem…” hörte sie die Stimme ihres Vaters. “Na klar, kein Problem!” tippte Mary noch, während sie aus ihrer Hose stieg und sich aufs Bett fallen ließ. Wenigstens würde morgen kein Wecker läuten, dachte sie noch, bevor ihr die Augen zufielen.
Die Sonne schien ihr ins Gesicht und weckte sie sanft. Sie stand auf und schlurfte ins Bad und nahm unmotiviert ihre Zahnbürste in die Hand. Dann warf sie die Zahnbürste ins Waschbecken und schaute sich ihr Spiegelbild an. “Es ist NICHT OK!” sagte sie. Sie spülte sich das Gesicht mit kaltem klaren Wasser. “UND ES IST VERDAMMT NOCH EINMAL EIN PROBLEM!” wütend schrie sie den Spiegel an. Schwer atmend schaute sie sich tief in die Augen. Sie fühlte Zorn und Wut. Viel zu lange hatte sie alles geschluckt. Doch da tief in ihrer Bauchgegend, da machte sich noch was ganz anderes breit. Sie konnte es noch nicht zuordnen, aber dieses Gesicht im Spiegelbild, es sah nicht mehr so aus, als würde sie es gleich zerfleischen, nein, es lächelte. “ICH MÖCHTE DAS NICHT!” skandierte sie laut. Sie schlüpfte aus ihrem zerknautschten Gewand und stieg unter die Dusche. Es war Freiheit, die sich da in ihr breit machte. Das heiß dampfende Wasser prasselte auf ihre Haut ein und brannte sich über ihre Kopfhaut hinweg. “DAS INTERESSIERT MICH NICHT” rief sie laut immer wieder, bis sich so viel Wasser in ihrem Mund gesammelt hatte und sie sich verschluckte. Hustend stieg sie auf das kleine Handtuch, das vor der Dusche lag und wischte ihre Füße trocken. Sie schnappte sich ihr Handy. “Wenn das so ist, Papa , dann fahre ich alleine weg. Bussi Baba!” tippte sie und klickte auf Senden, dann schaltete sie ihre Musik auf dem Handy ein. Sie tanzte aus dem Bad und öffnete ihren Kleiderschrank und zog sich an. Laut singend tanzte sie zum Fenster und riss es auf. “ES IST MIR WURSCHT!” brüllte sie auf die Straße hinaus.
Mit Kopfhörern in den Ohren rutschte sie das Treppengeländer herunter und verließ das Haus. Sofort bog sie um und steckte den Kopf durch die Bistro-Tür. “ICH NEHME HEUTE EINMAL WIE IMMER, UND DIESMAL LAKTOSEFREI, SONST ESSE ICH ES VOR ORT UND DIE KONSEQUENZEN DARFST DANN DU SAUBER MACHEN!” Verdutzt starrte ihr der Kellner und mehrere Gäste entgegen. Sie grinste freundlich “BUSSI BABA!” rief sie noch, da war sie auch schon zur Tür hinaus und lief weiter die Straße entlang. Es dauerte nicht lang und sie stand vor einem großen Haus. “Familie Seidler” stand in schnörkeliger Gravur in der Steinsäule neben dem Eingangstor. Im Takt der Musik, die ihre Ohren flutete, drückte sie auf den Klingelknopf. Nach einiger Zeit öffnete ihr eine junge Frau. “Die Familie feiert gerade Frau Seidlers Geburtstag, können sie später wieder kommen?” fragte sie. “Ich brauche nicht lange!” sagte Mary und schob sich an ihr vorbei in das Haus. Sie folgte dem Gesang eines Geburtstagsliedes und stand auf einmal vor einer großen Festtafel, an deren Kopf ihre Chefin saß. Gerade war die letzte Strophe verklungen und alle warteten, dass die Kerzen ausgeblasen wurden. Da räusperte sich Mary: „Entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe die Akten endlich fertig, die Sie gestern noch so dringend gebraucht haben! Da dachte ich mir, ich bringe sie Ihnen schnell vorbei!” Alle starrten sie überrascht an und folgten Mary, die die Tafel entlang tanzte. Sie verbeugte sich vor Frau Seidler, dann ließ sie die schwere Mappe genau auf die Torte fallen. “Sie mögen ja Tortendiagramme so gerne!” Sie tänzelte zurück zum Eingang und drehte sich nochmal zur sprachlosen Gesellschaft um. “BUSSI BABA!” brüllte sie noch, bevor sie auch schon wieder auf der Straße stand. Mary atmete durch und grinste. Dann zog sie ihr Handy aus der Tasche und googelte “Job Datenverarbeitung”