Die Abendsonne wirft ihr letztes Licht auf zwei Legionäre, die nebeneinander stehen.“Ich mein, weißt du, was ich meine? Das hier ist schon ruhiger, wir schlafen in echten Häusern und haben auch immer unsere Verpflegung, aber irgendwie fühlt sich das schon ein wenig schäbig an! Es stimmt schon, das ewige Marschieren brauch ich eh nicht, kannst du dich damals erinnern, als wir da vor ein paar Jahren in Germanien waren, gegen die Marser oder waren es die Brukterer, keine Ahnung, ich konnte die nie auseinanderhalten. Waren ja alles Wilde! Ein Dorf kleiner und verdreckter als das andere. Wo wir da Tage oder gar Wochenlang durch den Wald gehatscht sind. Hätte ich keine Sandalen getragen, hätte das Blut aus meinen Blasen sicher meine Füße für immer Rot gefärbt. Stell dir die Blicke vor, wir kommen zurück nach Rom und können jeden Kameraden daran erkennen, ob seine Füße rot sind. Witziger Gedanke, wie auch immer! Das Marschieren ist ja gar nicht das, was mir fehlt, aber damals im Norden, da hatten wir halt noch irgendwie Feinde. Also so echte Feinde. Verstehst du was ich meine! Da marschierst du zwar stundenlang durch den nassen, dunklen, kalten Wald, aber dann bekommst du wenigstens eine Feldschlacht. Aber hier? Nichts als Sand, heiße Luft und Leute, die dich eindeutig hier nicht haben wollen. Aber weil du ihre Streitkräfte schon geschlagen und ihre Bevölkerung massakriert hast, können sie sich eh gar nicht wehren, höchstens aus dem Hinterhalt. Also was machst du den ganzen Tag Gaius? Richtig, du stehst irgendwo Wache, patrouillierst durch die Gegend oder beaufsichtigst irgendeine Hinrichtung oder zwei. Besäufst dich mit deinem geringen Sold in irgendeiner runtergekommen Spelunke mit billigen Wein und wünschstest, du wärst in der Schule noch schlechter gewesen, damit du nicht jeden Tag zählen könntest, bis dein ganzer Scheiß-Dienst endlich vorbei ist und du zurück nach Rom kannst. Jetzt mal ehrlich Gaius, hast du dir das so vorgestellt? Als unsere Ausbildung losging, wollte ich eigentlich nur direkt in die Schlacht, um große Heldentaten im Namen unser aller Mutter, Rom, zu erringen. Dann standen wir Seite an Seite in der Schildkröte im Schlachtengetümmel und das einzige was ich wollte ist an einen ruhigen Ort zu kommen, und jetzt, jetzt bin ich an diesem Ort und eigentlich will ich die ganze Zeit nur zurück nach Rom, zurück zu Julia, was täte ich um wieder in den Schulbank zu sitzen und Julia dabei zuzuschauen, wie sie den Magister vollstrebert oder mit dir übers Forum zu ziehen. Ich will eigentlich nur in Ruhe und Frieden, mit meinen Freunden bei einem guten, ach was, scheiß aufs Gut, bei einem akzeptablen Becher Wein sitzen und ein wenig das Leben genießen. Aber stattdessen stehe ich noch weitere 7 Jahre, 3 Monate, 2 Wochen und 6 Tage in dieser schweren Rüstung in der heißen Sonne und verbreite den Ruhm Roms. Hoffentlich wenigstens an deiner Seite Gaius! Aber jetzt ist es wenigstens gleich Abends, Befehl aus dem Lager ist es den armen Kreaturen da oben auf den Kreuzen die Beine zu zerschlagen, damit sie es hinter sich haben, aber vergiss den Mittleren, der ist schon hin!”
Kategorie: Geschichte
Eddi, Huscarl im Ruhestand
Die salzige Meeresluft, die vom starken Wind bis zu ihnen ins Dorf getragen wurde, brachte auch die Rufe und Schreie mit sich. Einer der Fischer unten an der Küste hatte es als Erstes entdeckt und die Panik in seiner Stimme ließ keinen Zweifel an seiner Nachricht zu. “Segel am Horizont”, obwohl die Worte selber so harmlos waren, wusste jeder im Dorf, was sie bedeuteten. Die letzten Wochen und Monate waren mit den reisenden Händlern auch allerlei Schreckensbotschaften zum Dorf gekommen. Geplünderte Städte, niedergebrannte Abteien, ganze Dörfer ausgerottet, die starken Männer erschlagen, der Rest versklavt. Und jetzt zeigten sich auch an ihrem Horizont vor der Küste zwei gestreifte Segel, die im vollen Wind liegend schnell auf ihre Küste zu fuhren.
Eddi trat aus dem warmen Grubenhaus hinaus ins Freie und ließ seinen Blick über den wolkenverhangenen Himmel schweifen, während er seinen Mantel schloss. Da entdeckte er die windgefüllten Segel, die sich gegen das dunkelgrau der Wolken abhebten und beständig größer wurden. Die Erinnerungen an die vergangenen Schlachten gegen diese nordischen Bestien ließen sein Gesicht im Grimm erstarren. “Lynn, bring mir mein Kettenhemd und die Axt und sag unseren Kindern, sie sollen alle im Dorf in die Wälder führen, beeilt euch, sie landen gleich!” Wortlos reichte ihm seine Frau das schwere Kettenhemd. Hell blitzend hoben sich die Ringe gegen die anderen leicht rostigen ab, die auf seiner linken Flanke lagen. Schmerzvoll erinnerte sich Eddi an den Speer, der damals durch seine Rüstung und in seinen Bauch gedrungen war. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Gerade als er mit seinem Kopf durchgeschlupft war, sah er seinen ältesten Sohn aus dem Haus rennen, in der Hand einen Sack mit den wichtigsten und wertvollsten Sachen. Er schnappte ihn sich und nahm ihm den Beutel aus der Hand. “Hör mir zu Junge!” Seine Hand lag in des Jungen Genick. “Du nimmst mein Pferd und reitest in die Stadt, nimm die Küstenstraße und reite so schnell du kannst! Sag dem Ealdorman, dass es nur zwei Schiffe sind und wenn sie sich beeilen, dann können sie sowohl unser Gehöft als auch die anderen hier retten. Ich werde sie aufhalten solange ich kann! Hast du das verstanden?” “Ja, Vater, aber…!” erklang die zitternde Stimme seines ältesten Sohnes. Er hatte noch nichtmal ein Barthaar am Kinn. “Nichts aber! Du nimmst jetzt mein Pferd und reitest!” Sein Sohn nickte und schluckte schwer. Eddi zog ihn zu sich heran und küsste seine Stirn. Dann ließ er ihn los. “Hätte ich nur früher mit dem Krieger sein aufgehört und mit dem Vater sein angefangen!” dachte Eddi. „Dann müsstest du nicht in so jungen Jahren deinen Vater ersetzen.”
Diese Gedanken wegwischend zog er seinen Gürtel enger und montierte das Gehänge seiner Axt daran. Wortlos nahm er das Schwert aus den Händen seiner Frau. Tapfer versuchte sie ein Lächeln auf ihr angst gezeichnetes Gesicht zu zaubern. “Bitte Eddi, komm mit, wir haben Zeit, lass uns in den Wald fliehen!” erklang ihre Stimme. Diese engelsgleiche Stimme. Seit er sie zum ersten Mal gehört hatte, konnte und wollte er sie nicht vergessen. Mit kalter Stimme, sich zu eigener Härte zwingend erwiderte er: “Wenn sie hier alles niederbrennen, dann überleben wir den Winter nicht und wir alle, unsere Nachbarn, unsere Kinder verhungern oder erfrieren!” Stumm nickend mit Tränen in den Augen wandte sich Lynn ab. Sie ergriff das Bündel, das ihr ältester Sohn zusammengepackt hatte. Wie verloren, ganz alleine stand Eddi da, sein alter Körper niedergedrückt durch das schwere Hemd, aber ungebrochen, sein graues Haar im Wind wehend. Er drehte sich zu Lynn um, die gerade am Zaun angekommen war, der ihr kleines Gehöft umgab. “Lynn!” hallte seine tiefe aber warme Stimme zu ihr. Sie drehte sich um. “Ich…!” setzt er an. “Ich weiß!” entgegnete sie. “Und ich…!” erneut versagte ihm die Stimme. “Ich weiß!” sagte sie lächelnd. Tränen rannen über seine Wangen und flossen die tiefen Falten entlang die sein Leben in seinem Gesicht gezeichnet hatte. “Und….” er schluckte. “Ich…!” Sie schaute ihn an, ebenfalls mit Tränen in den Augen. “Ich dich auch, habe ich immer und werde ich immer!” Einen Augenblick nur badete er in ihrem Blick, weidete er sich an ihrer Schönheit, dann zogen ihn die tiefen, kehligen Stimmen, die vom Strand herauf riefen, wieder in die Realität und er wendete sich ab.
Wie sehr hatte er sich gewünscht, dass er diese Sprache nicht mehr hören musste. “Als erstes brennen und plündern wir den Hof da oben an der Klippe und dann holen wir uns die Feiglinge die in den Wald geflüchtet sind!” hörte er die höhnische siegessichere Stimme des Anführers. Eddi nahm den Schild, der neben ihm an der Wand seines Zuhauses lehnte, und ging auf den Weg zu, der in Richtung Strand führte. Langsamen aber festen Schrittes schritt er der Stimmen entgegen. Er blickte hinab auf den Strand auf dem sich gerade gut 20 dieser Plünderer daran machten den kleinen Aufstieg, der direkt zu ihm führte, hinaufzusteigen. Kaum das der erste von ihnen den Kopf über die Klippenkante streckte, trat ihm Eddi auch schon mit aller Kraft ins Gesicht. “Verpisst euch von hier!” brüllte er mit starkem Akzent in ihrer Sprache ihnen entgegen. Das aufkommende Stimmengewirr und Gebrüll bezeugte den Erfolg seiner Überraschung. Abwartend versteckte sich Eddi hinter seinem Schild, doch als gleich darauf wieder eine Hand erschien, die sich versuchte an einem Büschel Gras festzuhalten um sich über die Klippe zu hieven, ließ Eddi sein Schwert sprechen und tauchte es zum Ersten Mal seit so langer Zeit in rotes Blut. Schmerzensschreie folgten erneut und genaueres konnte Eddi nicht verstehen, aber es schien, als würden sich diese Barbaren nach einem anderen Aufstieg umschauen, so viel hatte er verstanden. “Das gibt mir kostbare Zeit!” dachte er sich triumphierend und trat mit aller Kraft gegen einen der größeren Steine, auf dem er Malereien seiner Kinder entdecken konnte. Mit einem Lächeln im Gesicht sah er wie der Stein über die Kante nach unten kippte und bei den Angreifern wohl endgültig für neue Pläne sorgte. Eddis Blick wanderte die Klippe entlang, den schmalen Streifen, auf dem das Getreide wuchs, auf dem wenig fruchtbaren Ackerland, das sie dieser Ödnis hier abgewinnen konnten. Hier ließ es sich nicht im Überfluss leben, aber dafür waren sie von den Plünderungen verschont geblieben, zumindest bis heute. Er schritt den breiten Weg entlang, den er und seine Familie ausgetreten hatten, seitdem sie sich hier niedergelassen hatten. Der sich vorne aufgabelte und zum Strand als auch zur nächstgrößeren Siedlung führte. Vielleicht hätten sie sich dort niederlassen sollen, die Abgeschiedenheit und Ruhe der letzten Jahre rächte sich jetzt.
Er nahm das Schwert in die Hand, an der er seinen Schild festgebunden hatte, und fuhr mit der Hand durch die Getreideähren. Noch zwei Wochen und sie wären zur Ernte bereit gewesen. Fast liebevoll streichte er über die sattgoldenen, zarten Pflanzen, die seiner Familie Nahrung und ein wenig Wohlstand gaben. Da sah er sie in voller Pracht. Ein gutes dutzend Männer, mit langen geflochtenen Haaren, in kunstvoller Leder und Pelzrüstung. In ihren Händen allerlei Mordsgerät. In erster Reihe schritt ein Hüne von einem Mann, der Oberkörper nackt, eine riesige Axt über seine Schultern gelegt. Einige Meter von Eddi entfernt blieb er stehen. “Du bist alles? Hatten die anderen zu viel Schiss?” sagte er höhnisch, begleitet vom Gelächter seiner Meute. “Für den da hats gereicht!” sage Eddi grinsend und deutete auf einen der Nordischen, dem frisches Blut aus einer zerdrückten Nase floss.
Der Hüne blickte ihn mit zornigem, irren Blick an. “Ich gebe dir einen Vorsprung, wenn du jetzt wegläufst!” sagte er. Eddi hob nur den Schild vor seine Brust und deutete mit seiner Schwertspitze auf den Mann. Dieser grinste teuflisch und hob die Axt von seiner Schultern, nicht ohne seine Muskeln spielen zu lassen. Mit einem markerschütternden Brüllen ließ er die Axt mit aller Kraft nach unten sausen, als wollte er Eddi wie einen Holzklotz spalten. Der schaffte es gerade noch zur Seite auszuweichen und wollte nun seinerseits mit dem Schwert zum Schlag ausholen, doch noch bevor er nah genug dran war und sein Schwert erhoben hatte trat auch schon sein Gegner mit aller Kraft gegen seinen Schild und Eddi wurde nach hinten gestoßen und landete am Boden.
“Na komm, alter Mann! Das wird doch nicht alles gewesen sein, oder?” lachte ihn dieser Riese aus. Eddi erhob sich, kam mit zitternden Knien wieder zum Stehen. Die vielen Jahre als Soldat, es fühlte sich an als würde er jede kleine Verletzung spüren, die er erlitten hatte, die letzten Jahre als Bauer und dieses Kettenhemd…Wann war er eigentlich so schwach geworden, dass ihn das so ermüdete, hatte er es doch früher wie eine zweite Haut getragen.
Doch es half alles nichts. Er sammelte all seine Kraft und holte zum Schwung aus und tatsächlich, seine Schwertspitze erreichte sein Gegenüber und schnitt über dessen Brust und Oberarm, doch nicht tief und gerade als Eddi sich über den Triumph freute, sah und spürte er wie ihn die Axt seitlich genau auf den Schild traf. Eddi stürzte zu Boden, er hörte etwas Knacken und Krachen und das war nicht nur sein Schild, der zerbrochen an einem Lederriemen von seinem Arm hing. Es war auch sein Arm, der an wenigen Muskelfasern noch an seiner Schulter hing. Die Schmerzen durften jetzt nicht überhand nehmen, dachte sich Eddi, ließ sein Schwert fallen und stürzte sich auf den Hünen, während er mit seiner intakten Hand den Dolch zog und zum Stoß ansetzte. Doch soweit kam es nicht, denn der Mann packte ihn mit der einen Hand am Hals und mit der anderen Hand an der seinen und drehte den Dolch jetzt gegen Eddi. Langsam spürte Eddi, wie sich die Spitze durch sein Kettenhemd bohrte.
“Du alter Narr!” brüllte ihm der Anführer dieser Plünderer entgegen. “Hast du wirklich gedacht du kannst mich umbringen? Hast du wirklich geglaubt du überlebst das hier?” Eddis Blick schweifte zur Seite, vorbei an dem wütenden Gesicht, vorbei an seiner Meute hin zu der Stelle wo der Weg in den Wald zum Dorf abbiegt. Und genau dort fiel sein Blick auf eine Gruppe Reiter mit Fußschar die sich auf ihn zubewegte, während sich der Dolch tief zwischen seine Rippen bohrte.
Eddi grinste während ihm das Blut über die Lippen ran. “Euch hinzuhalten war das Ziel, es zu überleben, wäre reiner Luxus gewesen!”
Matthias, Söldner
Das Kreischen der Krähen, das lautstark über die trostlose Weide hallte, ließ Matthias aufschrecken. Mit einem tiefen Atemzug füllten sich seine Lungen erstmals wieder bis zur Gänze und seine Angst geweiteten Augen starrten hinaus in das Dunkel der Nacht. Ein starkes, feuchtes Husten war die Folge und wahrscheinlich auch der Grund, warum er in seiner Ohnmacht nur so flach geatmet hatte. Das tiefschwarze Gefieder der Krähe vor ihm hob sich nur marginal ab von dem wolkenverhangenen sternenlosen Himmel über ihm. Die Anwesenheit dieser eigentlich so graziösen Vögel ließ vermuten, dass deren ständiger Begleiter ebenfalls gerade hier auf dem Schlachtfeld unterwegs war. Er versuchte, sich aufzurichten, doch so wirklich gelang es ihm nicht. Sein rechter Arm steckte fest zwischen 2 Leichen, die sich im Todeskampf ineinander verkeilt hatten. Erschöpft gab er auf, als auch kein Rütteln und Ziehen daran etwas geändert hatten. Mit zitternden Fingern löste er sein Helmband und ließ den Kopf hängen bis der schwere, verbeulte Helm von seinem Haupt rutschte und scheppernd über seinen zerschlagenen Brustpanzer zu Boden fiel. Aufgescheucht stoben mehrere Krähen in den Himmel, die sich gerade in seiner Nähe an denen gelabt hatten, die ihren inneren Kampf schon verloren hatten.
So langsam kehrte das Gefühl in seine tauben Glieder zurück. Er spürte die Kälte, die sich in seinen Blut und Schweiß getränkten Kleidern eingenistet hatte. Der junge Mann lag da, starrte in den Himmel und genoss die Ruhe. Sie schien so fremd und ungewohnt. Nach den Stunden des Lärms, des Klirren der aufeinander prallenden Waffen und Rüstungen, des Brüllen seines Kommandanten, der versuchte Ordnung in den Haufen seiner Meute zu bekommen und der Schreien und des Stöhnens der Verwundeten, da war diese ruhige Nacht, die nur selten dem Krächzen der Krähen erfüllt wurde, geradezu Weltfremd. Die Wolken hatten sich ein wenig verteilt und sanft tauchte der große Mond alles in ein zärtliches, aber kaltes, blaues Licht.
Matthias bemerkte einen Schatten, der sich von hinten näherte und eine große, hagere Gestalt stand neben ihm und beugte sich zu ihm herab. In der einen Hand hielt sie eine große Sense, mit der anderen strich sie sanft über Matthias Gesicht. Die Berührung ihrer knochigen, langen Finger hinterließen ein Gefühl der Kälte. “Nein, bitte…..!” flüsterte Matthias voller Angst. “Das kann es doch noch nicht gewesen sein.” Die Gestalt erhob sich und stand nun in aller Größe vor ihm. Hinter ihr das Mondlicht, das ihre schwarze Silhouette umspielte. Würde Matthias nicht in einem Meer aus Leichen liegen, in seinem eigenen Blut schwimmend, dann hätte er diese Erscheinung vielleicht für einen Engel gehalten. “Ich kann noch nicht, …ich habe noch so viel, das ich tun muss!” Ruhig nahm die Gestalt einen von Matthias gefallenen Kameraden, der über das Pferd gebeugt dalag und zog ihn fast lautlos hinunter und ließ sich auf dem Pferdekadaver nieder. Wie auf einem Thron saß er da und wandte sich wieder Matthias zu.
„Bitte…Ich weiß, dass ich es nicht verdient habe, aber ich muss es wiedergutmachen. Es hätte ja meine letzte Schlacht sein sollen, direkt danach wollte ich wieder heimkehren.” Wortlos saß die Gestalt da und starrte ihm entgegen. “Diesmal wirklich, ich weiß, dass habe ich schon öfter gesagt und noch öfter in den Briefen geschrieben, die ich nach Hause geschickt habe. Ich wollte wirklich aufhören und versuchen, ein besserer Mann und Vater zu sein. Aber hier, hier war ich ich. Glaubst du, ich will so sein? Dieses Monster in mir, bei jeder Kleinigkeit zu fürchten, dass es ausbricht und ich nicht mehr kontrollieren kann. Aber hier, hier haben meine Schläge wenigstens Leute getroffen, die es verdient haben und ich habe daran verdient.” Eine Krähe ließ sich auf der Schulter der Gestalt nieder. “Aber zuhause, als ob meine Frau und Kinder nicht gewusst hätten, dass mir das schwerfällt. Sie haben mich ja immer wieder erzürnt. Ich wollte das doch nicht! Aber immer wieder haben sie mich dazu getrieben. Aber jetzt werde ich alles ändern. Bitte! Ich werde den Schlachten den Rücken und nach Hause zurückkehren. Und ich werde mich ändern und meine Familie aufpassen und dann werde ich das Monster in mir auch bändigen.”
Die Gestalt erhob sich. “Bitte, lass mich das wieder gut machen. Lass mich dafür sorgen, dass es meiner Familie gut geht.” Die Gestalt kniete sich neben Matthias und legte sanft ihre Hand auf seine Stirn. “Dafür sorge ich gerade!” hörte Matthias, bevor die Hand seine Augen für immer schloss.
Jean-Baptiste, Kriegsversehrter
Mit einem hellen Klingen zerplatzte der Regentropfen auf Jean-Baptistes Helmkante und spritzte in Richtung Boden, wo er sich mit der Suppe verband, die sich in den letzten Stunden zu seinen Füßen gebildet hatte. Braun und matschig war sie zuerst nur einige Zentimeter hoch gewesen, aber jetzt schwappte sie mit jedem vorbei eilenden Kameraden noch ein Stück höher und umspielte schon seine Unterschenkel. Es war vielleicht erst wenige Minuten her gewesen, vielleicht auch schon eine Stunde, als die ersten Tropfen bei seinen Knöcheln eine Schwachstelle in seinen Stiefeln gefunden hatten und sich einen Weg zu seinen Socken gebahnt hatten. Seine Zehen waren inzwischen eiskalt und er spürte, wie aufgequollen seine Haut inzwischen war, wenn er sie aneinander rieb. Sein müder Blick starrte in diese kalte, nasse Brühe, als könnte er darin einen Sinn für das alles erkennen. Aber er fand keinen. Eine Erschütterung erfasste ihn und zauberte kleine verspielte Wellen auf dem Wasser. Schwer hob er seinen Blick und sah über die Erdkante drüber, die sich vor ihm erhob, als ihm auch schon die ersten Erdklumpen entgegen prasselten. Er hörte noch das Pfeifen, das sie in den Unterstand treiben sollte, aber er konnte einfach nicht mehr, und eigentlich wollte er auch nicht mehr.
“Das ist unfair, immer fängst du mich, das sage ich Mama!” Jean-Baptiste wurde aus seinen Gedanken gerissen. Die frühsommerliche Luft füllte seine Lungen, als er tief einatmete und die Erinnerungen abschüttelte. Vor ihm liefen mehrere Kinder in dem kleinen Park umher, in dem er sich gerne ein wenig niederließ und sich erholte, wenn er es so weit schaffte. Mit einem traurigen Lächeln sah er der Rasselbande beim Fangen spielen zu, die sich jedesmal so schnell wieder vertrugen, wie sie sich in die Haare kriegten. Die warme Sonne schien ihm ins Gesicht, das wäre einer dieser Momente, an dem die Zeit stehen bleiben würde, sämtliche Lasten würden für einige Augenblicke von seinen Schultern fallen und er wäre einige Atemzüge einfach nur glücklich. Aber etwas fesselte ihn im Hier und Jetzt. Jean-Baptiste spürte dieses etwas nur allzu gut. Der stechende Schmerz in seinen Beinen ließ sich nicht von Kinderlachen, nicht von Sonnenschein und auch nicht von frühsommerlicher Luft vertreiben. Der ließ sich von gar nichts vertreiben. Seit er und der Schmerz sich an diesem verregneten Tag in den Gräben der Somme gefunden hatten, seitdem war er sein ständiger Begleiter gewesen. Er war sein Begleiter gewesen, als er Etienne im Stacheldraht hinter sich lassen musste. Als er Marc hustend und spuckend an ein kleines Loch in der Gasmaske verloren hatte, war er bei ihm gewesen. Der Schmerz war immer da. Bereitwillig und schnell füllte er jede Lücke, die dieser Krieg in Jean-Baptistes Leben gerissen hatte. Und als die Granate sein Bein zerriss, als es keine Nerven mehr gab, die hätten schmerzen können, als das Fleisch nur mehr tot an seinen zersplitterten Knochen hing, auch da ließ ihn der Schmerz nicht allein. Jean blickte auf, die große Uhr am Parkrand zeigte 5 Uhr. Er strich sich über seinen Oberschenkel und griff sich seine Krücken. Mit verbissenen Gesicht hievte er sich hoch und humpelte langsam auf den Ausgang des Parks zu.
Da rempelte ihn von hinten etwas an und er stürzte. Sein Schmerzensschrei erfüllte den Park und scheuchte die Singvögel auf, die gerade um ein paar Brotkrumen stritten.
“Mo…Monsier..Es….es tut mir leid?” hörte er die ängstliche Stimme eines kleinen Mädchen in seinem Rücken. Mit der Kraft seiner Arme drehte sich Jean-Baptiste um und blickte in ein Gesicht, in dessen Augen schon das Wasser stand. “Bitte verzeiht, ich wollte das nicht!” setzte das Mädchen noch an, als auch schon die ersten Tränen die Wangen hinunterflossen. Jean hob sein verdrehtes Bein und richtete es. Dann strich er dem Mädchen tröstend über die Schulter. “Das ist doch kein Grund zum Weinen. Wenn man so schön und lustig mit seinen Freunden spielt, dann kann sowas doch schon mal passieren!” sagte er ruhig und griff nach seiner Krücke. “Du spielst ja hier oft mit deinen Freunden fangen, oder?” fragte er so fröhlich wie es das Stechen und Brennen in seinen Beinen zuließ. Das Mädchen nickte schniefend. “Ich würde ja auch gerne mal wieder fangen spielen, aber ich glaube bei euch habe ich keine Chance!” Das Mädchen musste lächeln. “Na schau, schon lächelst du schon wieder, wie die Sonne heute, hilfst du mir auf?” Das Mädchen nickte und zog mit aller Kraft an Jean-Baptistes Arm. Als er wieder stand griff er wieder in seine Tasche und holte zwei Münzen hervor. “Na dann solltest du mal los zu deinen Freunden und holt euch davon ein paar Bonbons, aber teile sie mit deinen Freunden, denn nichts ist wichtiger als gute Freunde.” “Danke Monsieur, habt ihr auch Freunde, mit denen ihr Bonbons teilt?” fragte das Mädchen neugierig. “Ja, einen Freund habe ich!” sagte Jean und drehte sich um. “Trefft ihr den auch jeden Tag?” rief ihm das kleine Mädchen noch hinterher. “Ja, jeden Tag!” sagte Jean-Baptiste leicht melancholisch.
Jean kämpfte sich die Treppen nach oben in sein kleines Apartment. Er setzte sich an den wackeligen Tisch und zog eine kleine Holzkiste zu sich. Er öffnete sie und holte den Orden heraus, der ihm verliehen worden war, nach seiner Verwundung. Wie gerne würde er dieses Stück Blech gegen ein paar Minuten ohne Schmerzen tauschen. “Wir sind wohl für immer aneinander gebunden!” sagte Jean fatalistisch grinsend und holte ein Foto heraus, das ihn und seine Kameraden an dem Tag zeigte, als sie das erste Mal in die neuen Uniformen gesteckt worden waren. Auf der Rückseite waren allzu viele Kreuze und Daten geschrieben. Jetzt war es seine Wange, von der die Tränen tropften. Er holte ein weiteres Foto raus. Sanft strich er mit dem Daumen über die Wange der darauf abgelichteten Dame. Direkt daneben lag ein Brief. Viele der Wörter waren schon verlaufen, es waren nicht die ersten Tränen, die wohl dieses Papier trafen. “…es hat leider nicht sein sollen….du wirst trotzdem immer einen besonderen Platz in meinen Erinnerungen haben…”. Jeans zittrige Hand griff erneut in die Holzkiste. “Bring den Boche Manieren bei!” seine Finger glitten über den Schriftzug, den sein Vater in den Griff des Revolvers geschnitzt hatte, bevor er damals aufgebrochen war. Sein Blick fiel auf den Orden. “Folgst du mir auch dorthin?”