Schlagwort: ego-perspektive

Jack, Privatdetektiv

Sanft gleiten die Eiswürfel an der Glasinnenseite entlang. Ich spüre die Kälte inzwischen schon an meinen Fingern, wenn ich jetzt noch länger warte, dann ist mein Whiskey endgültig verwässert. Gedankenverloren nehme ich einen Schluck. Das altbekannte Brennen in meiner Kehle passt zu dem Brennen in meiner Brust. Dieses Brennen, das mich nicht mehr loslässt. Der kleine Billy Brosner, immer noch vermisst, weil ich diesen Fall nicht lösen konnte. Starr blicke ich auf die Unterlagen auf meinem Schreibtisch, als könnte ich sie mit meinem Blick zwingen mir ihr Geheimnis zu verraten. Ich spüre den Zorn in mir brodeln, die Wut in mir aufsteigen, die Enttäuschung über mich selber, über mein Eigenes Versagen. Ich schlucke alles mit einem Schluck Whiskey runter. Beim Dritten klappt es sogar. „Na los, WO IST BILLY!“ möchte ich die Zeitungsausschnitte, Befragungsnotizen und geklaute Privatkorrespondenz anschreien, die ich in den letzten Tagen und Wochen zusammen gesammelt habe. Stattdessen hebe ich meinen Kopf, lasse das Whiskeyglas in meiner Schreibtischschublade verschwinden und spreche möglichst gefasster Stimme „Herein!“. Da klopft es an der Tür, aber meinem geschulten Auge ist der Schatten vor dem Spalt unter der Tür natürlich nicht entgangen. Die Tür öffnet sich und ein kleiner Junge steht mit verweinten Augen im Eingang zu meinem kleinen, schäbigen Büro. Er schnieft laut und kommt hinein. Als er in den Lichtkreis meiner Lampe kommt erkenne ich seine rot geweinten Augen. „Bitte, Mister, Billy war mein bester Freund, ich habe von meiner Omi zu meinem Geburtstag einen ganzen Dollar bekommen, den gebe ich ihnen, wenn sie ihn wiederfinden.“ Ich hätte auf meine Schwester hören sollen als sie mir damals sagte „Scheiß auf den großen Schreibtisch und die Goldenen Lettern an deiner Tür, wenn du ein Büro hast, brauchst du eine Sekretärin!“ Dann würden mir solche emotionalen Momente erspart bleiben, die könnte solche Leute abfangen, bevor sie zu mir kommen. „Hier, das hat mir Billy geschenkt, kurz bevor er verschwand!“ Der kleine Junge reicht mir eine Zeichnung. Ich kann nicht von mir behaupten, dass ich selber ein großer Künstler wäre, aber dieses Gekritzel ist ja wohl wirklich schirch. Ich bedanke mich bei dem Kleinen und setze ihn nett aber bestimmt vor die Tür. Dann widme ich mich der Zeichnung. Vor der Tür höre ich ein Schluchzen. Na gut, vielleicht war ich doch etwas bestimmter als netter.

Beim Schreibtisch angekommen hole ich mein Whiskeyglas hervor und schenke mir ein. Dann inspiziere ich die Zeichnung genauer. Also bei dem was ich da sehe, da würden sich selbst Eltern schwer tun, beim Lügen, ob der Qualität der Zeichnung. Das große Schwarze könnte ein Haus sein, und dieser graue Fleck direkt drüber könnte eine Statue sein. Wirkt fast wie eine dieser Fledermausdekostatuetten wie die im alten Hiller-Haus, das seit Jahren leer steht. Ich blicke auf die Uhr. 17:29. Da könnte ich heute noch schnell vorbeifahren, bevor ich Feierabend mache. Ich hole meinen Revolver aus der Schreibtischlade und stecke ihn in mein Holster. Dann schnappe ich mir noch meine Taschenlampe und meine Schlüssel. Als ich aus dem Haus komme, bläst mir der starke Wind den Regen ins Gesicht. In den letzten Tagen hat es begonnen zu herbstln. Ich gehe hinaus ins Wetter. Ich hätte heute früh auf meine Frau hören sollen, als sie mir sagte „Du wirst sehen, heute schlägt das Wetter endgültig um, zieh besser die festen Schuhe an!“ Stattdessen spüre ich, wie sich meine Socken mit Feuchtigkeit vollsaugen, schon beim dritten Schritt. Ich stelle meinen Mantelkragen auf und kämpfe mich durch das Wetter in Richtung des alten Villenviertels, in dem das Hiller-Haus steht. Die ersten Blätter fegt es von den Bäumen und mir entgegen. Da höre ich hinter mir kurz eine Polizei-Sirene aufheulen.

Genervt verdrehe ich die Augen. „Guten Abend Jim!“ sage ich zu dem dicklichen Polizist, der gerade aus seinem Auto steigt und auf mich zu geht. „Für dich immer noch Sergeant O’reilly! Was haben wir denn da unter dem Mantel? Ich hoffe, du hast einen Ausweis für die Knarre!“ Ich nicke nur wortlos und greife zu meinem Portmonaie. Ich hätte auf meine Lehrerin, Fräulein Frink, damals hören soll als sie mir sagte „Die Polizei ist Freund und Helfer, sie verdienen unseren Respekt und Freundlichkeit.“ Stattdessen darf ich 20 Minuten lang sämtliche Ausweise vorweisen und Erklärungen abgeben, bis Sergeant O’reilly wieder bereit ist, mich in Ruhe zu lassen. Ich denke, dass hat man davon wenn man einmal im Lokalblatt ein Interview gibt und die Polizei als inkompetent bezeichnet.

Als ich endlich beim Hiller-Haus ankomme gehen gerade die Straßenlaternen an. Ich drücke die rostige Gartentür auf und spüre wie eine Gänsehaut über meinen ganzen Rücken wandert bei dem Quietschen. So im Halbdunkel blickt das Haus richtig auf mich herab. Wie ein riesiges Monument thront es über mir. Kurz zweifel ich ob ich wirklich heute noch mich hier umsehen sollte, doch die Möglichkeit diesen Fall voranzubringen ist einfach zu verführerisch. Ich trete über den Steinpfad zum Haus, das feuchte Gras, dass sich durch die Steinplatten gekämpft hat, quatscht unter meinen Füßen. Ich hole meine Taschenlampe raus und leuchte durch die halb verfallene Eingangstür ins Haus hinein. Sofort fällt mein Blick auf den staubigen Boden auf dem ich kleine Schuhabdrücke erkennen kann. Das Knarzen der Dielen hallt durchs ganze Haus als ich das erste Mal meinen Fuß innerhalb der alten Gemäuer absetze. Ich merke wie mein Atem schneller wird. Das Knarzen jetzt gerade war ich aber nicht. Oder doch? Der Lichtkegel meiner Taschenlampe wandert über vermoderte Tapetenwände, zerfallene Vorhänge und verrostete Lampen und Kerzenhalter. Abrupt hören die Schuhabdrücke auf. Ein zarter Windhauch streicht über mein Gesicht, das nass ist vom Regen und von Schweiß. Da erkenne ich kleine eingetrocknete Tropfen am Boden. Ich gehe in die Knie, rot, eindeutig Blut. Da spüre ich einen Tropfen auf meiner Schulter, kurz darauf tropft einer auf meine Hand mit der Taschenlampe. Zähflüssig, weißlich-durchsichtig. Speichel? Meine andere Hand wandert unter meinen Mantel, ich spüre den vertrauten Griff des Revolvers zwischen meinen Fingern. Ein weiterer Tropfen diesmal genau in meinem Nacken. Ich lass mich nach hinten auf den Boden fallen und blicke nach oben. Ein weit aufgerissenes Maul mit Tausend Zähnen blickt mir entgegen. Schreiend richte ich meine Pistole darauf und drücke ab und drücke ab und drücke ab und drücke ab. Das helle Klicken als der Hahn auf eine leere Klammer trifft besiegelt mein Schicksal. Ich hätte auf meine Tochter hören sollen, als sie mir heute morgen sagte: „Und dann, nach der Arbeit, Papa, da kommst du dann ganz schnell heim und dann zeige ich dir, was ich in der Schule gelernt habe!“