Schlagwort: tod

Eddi, Huscarl im Ruhestand

Die salzige Meeresluft, die vom starken Wind bis zu ihnen ins Dorf getragen wurde, brachte auch die Rufe und Schreie mit sich. Einer der Fischer unten an der Küste hatte es als Erstes entdeckt und die Panik in seiner Stimme ließ keinen Zweifel an seiner Nachricht zu. “Segel am Horizont”, obwohl die Worte selber so harmlos waren, wusste jeder im Dorf, was sie bedeuteten. Die letzten Wochen und Monate waren mit den reisenden Händlern auch allerlei Schreckensbotschaften zum Dorf gekommen. Geplünderte Städte, niedergebrannte Abteien, ganze Dörfer ausgerottet, die starken Männer erschlagen, der Rest versklavt. Und jetzt zeigten sich auch an ihrem Horizont vor der Küste zwei gestreifte Segel, die im vollen Wind liegend schnell auf ihre Küste zu fuhren. 

Eddi trat aus dem warmen Grubenhaus hinaus ins Freie und ließ seinen Blick über den wolkenverhangenen Himmel schweifen, während er seinen Mantel schloss. Da entdeckte er die windgefüllten Segel, die sich gegen das dunkelgrau der Wolken abhebten und beständig größer wurden. Die Erinnerungen an die vergangenen Schlachten gegen diese nordischen Bestien ließen sein Gesicht im Grimm erstarren. “Lynn, bring mir mein Kettenhemd und die Axt und sag unseren Kindern, sie sollen alle im Dorf in die Wälder führen, beeilt euch, sie landen gleich!” Wortlos reichte ihm seine Frau das schwere Kettenhemd. Hell blitzend hoben sich die Ringe gegen die anderen leicht rostigen ab, die auf seiner linken Flanke lagen. Schmerzvoll erinnerte sich Eddi an den Speer, der damals durch seine Rüstung und in seinen Bauch gedrungen war. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Gerade als er mit seinem Kopf durchgeschlupft war, sah er seinen ältesten Sohn aus dem Haus rennen, in der Hand einen Sack mit den wichtigsten und wertvollsten Sachen. Er schnappte ihn sich und nahm ihm den Beutel aus der Hand. “Hör mir zu Junge!” Seine Hand lag in des Jungen Genick. “Du nimmst mein Pferd und reitest in die Stadt, nimm die Küstenstraße und reite so schnell du kannst! Sag dem Ealdorman, dass es nur zwei Schiffe sind und wenn sie sich beeilen, dann können sie sowohl unser Gehöft als auch die anderen hier retten. Ich werde sie aufhalten solange ich kann! Hast du das verstanden?” “Ja, Vater, aber…!” erklang die zitternde Stimme seines ältesten Sohnes. Er hatte noch nichtmal ein Barthaar am Kinn. “Nichts aber! Du nimmst jetzt mein Pferd und reitest!” Sein Sohn nickte und schluckte schwer. Eddi zog ihn zu sich heran und küsste seine Stirn. Dann ließ er ihn los. “Hätte ich nur früher mit dem Krieger sein aufgehört und mit dem Vater sein angefangen!” dachte Eddi. „Dann müsstest du nicht in so jungen Jahren deinen Vater ersetzen.”

Diese Gedanken wegwischend zog er seinen Gürtel enger und montierte das Gehänge seiner Axt daran. Wortlos nahm er das Schwert aus den Händen seiner Frau. Tapfer versuchte sie ein Lächeln auf ihr angst gezeichnetes Gesicht zu zaubern. “Bitte Eddi, komm mit, wir haben Zeit, lass uns in den Wald fliehen!” erklang ihre Stimme. Diese engelsgleiche Stimme. Seit er sie zum ersten Mal gehört hatte, konnte und wollte er sie nicht vergessen. Mit kalter Stimme, sich zu eigener Härte zwingend erwiderte er: “Wenn sie hier alles niederbrennen, dann überleben wir den Winter nicht und wir alle, unsere Nachbarn, unsere Kinder verhungern oder erfrieren!” Stumm nickend mit Tränen in den Augen wandte sich Lynn ab. Sie ergriff das Bündel, das ihr ältester Sohn zusammengepackt hatte. Wie verloren, ganz alleine stand Eddi da, sein alter Körper niedergedrückt durch das schwere Hemd, aber ungebrochen, sein graues Haar im Wind wehend. Er drehte sich zu Lynn um, die gerade am Zaun angekommen war, der ihr kleines Gehöft umgab. “Lynn!” hallte seine tiefe aber warme Stimme zu ihr. Sie drehte sich um. “Ich…!” setzt er an. “Ich weiß!” entgegnete sie. “Und ich…!” erneut versagte ihm die Stimme. “Ich weiß!” sagte sie lächelnd. Tränen rannen über seine Wangen und flossen die tiefen Falten entlang die sein Leben in seinem Gesicht gezeichnet hatte. “Und….” er schluckte. “Ich…!” Sie schaute ihn an, ebenfalls mit Tränen in den Augen. “Ich dich auch, habe ich immer und werde ich immer!” Einen Augenblick nur badete er in ihrem Blick, weidete er sich an ihrer Schönheit, dann zogen ihn die tiefen, kehligen Stimmen, die vom Strand herauf riefen, wieder in die Realität und er wendete sich ab.

Wie sehr hatte er sich gewünscht, dass er diese Sprache nicht mehr hören musste. “Als erstes brennen und plündern wir den Hof da oben an der Klippe und dann holen wir uns die Feiglinge die in den Wald geflüchtet sind!” hörte er die höhnische siegessichere Stimme des Anführers. Eddi nahm den Schild, der neben ihm an der Wand seines Zuhauses lehnte, und ging auf den Weg zu, der in Richtung Strand führte. Langsamen aber festen Schrittes schritt er der Stimmen entgegen. Er blickte hinab auf den Strand auf dem sich gerade gut 20 dieser Plünderer daran machten den kleinen Aufstieg, der direkt zu ihm führte, hinaufzusteigen. Kaum das der erste von ihnen den Kopf über die Klippenkante streckte, trat ihm Eddi auch schon mit aller Kraft ins Gesicht. “Verpisst euch von hier!” brüllte er mit starkem Akzent in ihrer Sprache ihnen entgegen. Das aufkommende Stimmengewirr und Gebrüll bezeugte den Erfolg seiner Überraschung. Abwartend versteckte sich Eddi hinter seinem Schild, doch als gleich darauf wieder eine Hand erschien, die sich versuchte an einem Büschel Gras festzuhalten um sich über die Klippe zu hieven, ließ Eddi sein Schwert sprechen und tauchte es zum Ersten Mal seit so langer Zeit in rotes Blut. Schmerzensschreie folgten erneut und genaueres konnte Eddi nicht verstehen, aber es schien, als würden sich diese Barbaren nach einem anderen Aufstieg umschauen, so viel hatte er verstanden. “Das gibt mir kostbare Zeit!” dachte er sich triumphierend und trat mit aller Kraft gegen einen der größeren Steine, auf dem er Malereien seiner Kinder entdecken konnte. Mit einem Lächeln im Gesicht sah er wie der Stein über die Kante nach unten kippte und bei den Angreifern wohl endgültig für neue Pläne sorgte. Eddis Blick wanderte die Klippe entlang, den schmalen Streifen, auf dem das Getreide wuchs, auf dem wenig fruchtbaren Ackerland, das sie dieser Ödnis hier abgewinnen konnten. Hier ließ es sich nicht im Überfluss leben, aber dafür waren sie von den Plünderungen verschont geblieben, zumindest bis heute. Er schritt den breiten Weg entlang, den er und seine Familie ausgetreten hatten, seitdem sie sich hier niedergelassen hatten. Der sich vorne aufgabelte und zum Strand als auch zur nächstgrößeren Siedlung führte. Vielleicht hätten sie sich dort niederlassen sollen, die Abgeschiedenheit und Ruhe der letzten Jahre rächte sich jetzt.

Er nahm das Schwert in die Hand, an der er seinen Schild festgebunden hatte, und fuhr mit der Hand durch die Getreideähren. Noch zwei Wochen und sie wären zur Ernte bereit gewesen. Fast liebevoll streichte er über die sattgoldenen, zarten Pflanzen, die seiner Familie Nahrung und ein wenig Wohlstand gaben. Da sah er sie in voller Pracht. Ein gutes dutzend Männer, mit langen geflochtenen Haaren, in kunstvoller Leder und Pelzrüstung. In ihren Händen allerlei Mordsgerät. In erster Reihe schritt ein Hüne von einem Mann, der Oberkörper nackt, eine riesige Axt über seine Schultern gelegt. Einige Meter von Eddi entfernt blieb er stehen. “Du bist alles? Hatten die anderen zu viel Schiss?” sagte er höhnisch, begleitet vom Gelächter seiner Meute. “Für den da hats gereicht!” sage Eddi grinsend und deutete auf einen der Nordischen, dem frisches Blut aus einer zerdrückten Nase floss. 

Der Hüne blickte ihn mit zornigem, irren Blick an. “Ich gebe dir einen Vorsprung, wenn du jetzt wegläufst!” sagte er. Eddi hob nur den Schild vor seine Brust und deutete mit seiner Schwertspitze auf den Mann. Dieser grinste teuflisch und hob die Axt von seiner Schultern, nicht ohne seine Muskeln spielen zu lassen. Mit einem markerschütternden Brüllen ließ er die Axt mit aller Kraft nach unten sausen, als wollte er Eddi wie einen Holzklotz spalten. Der schaffte es gerade noch zur Seite auszuweichen und wollte nun seinerseits mit dem Schwert zum Schlag ausholen, doch noch bevor er nah genug dran war und sein Schwert erhoben hatte trat auch schon sein Gegner mit aller Kraft gegen seinen Schild und Eddi wurde nach hinten gestoßen und landete am Boden.

“Na komm, alter Mann! Das wird doch nicht alles gewesen sein, oder?” lachte ihn dieser Riese aus. Eddi erhob sich, kam mit zitternden Knien wieder zum Stehen. Die vielen Jahre als Soldat, es fühlte sich an als würde er jede kleine Verletzung spüren, die er erlitten hatte, die letzten Jahre als Bauer und dieses Kettenhemd…Wann war er eigentlich so schwach geworden, dass ihn das so ermüdete, hatte er es doch früher wie eine zweite Haut getragen. 

Doch es half alles nichts. Er sammelte all seine Kraft und holte zum Schwung aus und tatsächlich, seine Schwertspitze erreichte sein Gegenüber und schnitt über dessen Brust und Oberarm, doch nicht tief und gerade als Eddi sich über den Triumph freute, sah und spürte er wie ihn die Axt seitlich genau auf den Schild traf. Eddi stürzte zu Boden, er hörte etwas Knacken und Krachen und das war nicht nur sein Schild, der zerbrochen an einem Lederriemen von seinem Arm hing. Es war auch sein Arm, der an wenigen Muskelfasern noch an seiner Schulter hing. Die Schmerzen durften jetzt nicht überhand nehmen, dachte sich Eddi, ließ sein Schwert fallen und stürzte sich auf den Hünen, während er mit seiner intakten Hand den Dolch zog und zum Stoß ansetzte. Doch soweit kam es nicht, denn der Mann packte ihn mit der einen Hand am Hals und mit der anderen Hand an der seinen und drehte den Dolch jetzt gegen Eddi. Langsam spürte Eddi, wie sich die Spitze durch sein Kettenhemd bohrte. 

“Du alter Narr!” brüllte ihm der Anführer dieser Plünderer entgegen. “Hast du wirklich gedacht du kannst mich umbringen? Hast du wirklich geglaubt du überlebst das hier?” Eddis Blick schweifte zur Seite, vorbei an dem wütenden Gesicht, vorbei an seiner Meute hin zu der Stelle wo der Weg in den Wald zum Dorf abbiegt. Und genau dort fiel sein Blick auf eine Gruppe Reiter mit Fußschar die sich auf ihn zubewegte, während sich der Dolch tief zwischen seine Rippen bohrte.  

Eddi grinste während ihm das Blut über die Lippen ran. “Euch hinzuhalten war das Ziel, es zu überleben, wäre reiner Luxus gewesen!”

Matthias, Söldner

Das Kreischen der Krähen, das lautstark über die trostlose Weide hallte, ließ Matthias aufschrecken. Mit einem tiefen Atemzug füllten sich seine Lungen erstmals wieder bis zur Gänze und seine Angst geweiteten Augen starrten hinaus in das Dunkel der Nacht. Ein starkes, feuchtes Husten war die Folge und wahrscheinlich auch der Grund, warum er in seiner Ohnmacht nur so flach geatmet hatte. Das tiefschwarze Gefieder der Krähe vor ihm hob sich nur marginal ab von dem wolkenverhangenen sternenlosen Himmel über ihm. Die Anwesenheit dieser eigentlich so graziösen Vögel ließ vermuten, dass deren ständiger Begleiter ebenfalls gerade hier auf dem Schlachtfeld unterwegs war. Er versuchte, sich aufzurichten, doch so wirklich gelang es ihm nicht. Sein rechter Arm steckte fest zwischen 2 Leichen, die sich im Todeskampf ineinander verkeilt hatten. Erschöpft gab er auf, als auch kein Rütteln und Ziehen daran etwas geändert hatten. Mit zitternden Fingern löste er sein Helmband und ließ den Kopf hängen bis der schwere, verbeulte Helm von seinem Haupt rutschte und scheppernd über seinen zerschlagenen Brustpanzer zu Boden fiel. Aufgescheucht stoben mehrere Krähen in den Himmel, die sich gerade in seiner Nähe an denen gelabt hatten, die ihren inneren Kampf schon verloren hatten.

So langsam kehrte das Gefühl in seine tauben Glieder zurück. Er spürte die Kälte, die sich in seinen Blut und Schweiß getränkten Kleidern eingenistet hatte. Der junge Mann lag da, starrte in den Himmel und genoss die Ruhe. Sie schien so fremd und ungewohnt. Nach den Stunden des Lärms, des Klirren der aufeinander prallenden Waffen und Rüstungen, des Brüllen seines Kommandanten, der versuchte Ordnung in den Haufen seiner Meute zu bekommen und der Schreien und des Stöhnens der Verwundeten, da war diese ruhige Nacht, die nur selten dem Krächzen der Krähen erfüllt wurde, geradezu Weltfremd. Die Wolken hatten sich ein wenig verteilt und sanft tauchte der große Mond alles in ein zärtliches, aber kaltes, blaues Licht. 

Matthias bemerkte einen Schatten, der sich von hinten näherte und eine große, hagere Gestalt stand neben ihm und beugte sich zu ihm herab. In der einen Hand hielt sie eine große Sense, mit der anderen strich sie sanft über Matthias Gesicht. Die Berührung ihrer knochigen, langen Finger hinterließen ein Gefühl der Kälte. “Nein, bitte…..!” flüsterte Matthias voller Angst. “Das kann es doch noch nicht gewesen sein.” Die Gestalt erhob sich und stand nun in aller Größe vor ihm. Hinter ihr das Mondlicht, das ihre schwarze Silhouette umspielte. Würde Matthias nicht in einem Meer aus Leichen liegen, in seinem eigenen Blut schwimmend, dann hätte er diese Erscheinung vielleicht für einen Engel gehalten. “Ich kann noch nicht, …ich habe noch so viel, das ich tun muss!” Ruhig nahm die Gestalt einen von Matthias gefallenen Kameraden, der über das Pferd gebeugt dalag und zog ihn fast lautlos hinunter und ließ sich auf dem Pferdekadaver nieder. Wie auf einem Thron saß er da und wandte sich wieder Matthias zu.

„Bitte…Ich weiß, dass ich es nicht verdient habe, aber ich muss es wiedergutmachen. Es hätte ja meine letzte Schlacht sein sollen, direkt danach wollte ich wieder heimkehren.” Wortlos saß die Gestalt da und starrte ihm entgegen. “Diesmal wirklich, ich weiß, dass habe ich schon öfter gesagt und noch öfter in den Briefen geschrieben, die ich nach Hause geschickt habe. Ich wollte wirklich aufhören und versuchen, ein besserer Mann und Vater zu sein. Aber hier, hier war ich ich. Glaubst du, ich will so sein? Dieses Monster in mir, bei jeder Kleinigkeit zu fürchten, dass es ausbricht und ich nicht mehr kontrollieren kann. Aber hier, hier haben meine Schläge wenigstens Leute getroffen, die es verdient haben und ich habe daran verdient.” Eine Krähe ließ sich auf der Schulter der Gestalt nieder. “Aber zuhause, als ob meine Frau und Kinder nicht gewusst hätten, dass mir das schwerfällt. Sie haben mich ja immer wieder erzürnt. Ich wollte das doch nicht! Aber immer wieder haben sie mich dazu getrieben. Aber jetzt werde ich alles ändern. Bitte! Ich werde den Schlachten den Rücken und nach Hause zurückkehren. Und ich werde mich ändern und meine Familie aufpassen und dann werde ich das Monster in mir auch bändigen.”

Die Gestalt erhob sich. “Bitte, lass mich das wieder gut machen. Lass mich dafür sorgen, dass es meiner Familie gut geht.” Die Gestalt kniete sich neben Matthias und legte sanft ihre Hand auf seine Stirn. “Dafür sorge ich gerade!” hörte Matthias, bevor die Hand seine Augen für immer schloss.